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Cartellate – Weihnachtsgebäck aus Basilikata und Apulien mit Geschichte und Geschmack

 

Cartellate – Weihnachtsgebäck aus Basilikata und Apulien mit Geschichte und Geschmack

Cartellate. Allein der Name klingt schon ein bisschen nach Festtagstisch, nach Tradition und nach Dingen, die Zeit brauchen. Wer Weihnachten im süden verbringt, wird an diesen spiralförmigen, frittierten Teigkringeln nicht vorbeikommen. Sie gehören dort zum Dezember wie Panettone in Mailand oder Vanillekipferl in Wien.
Meine Tante Lina aus Montescaglioso macht die besten.

Herkunft und Bedeutung

Die Cartellata (Einzahl) ist ein Gebäck aus Süditalien, genauer gesagt aus Basilikata und Apulien, manchmal auch in angrenzenden Regionen wie Kalabrien anzutreffen. Der Ursprung lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Manche Historiker verweisen auf Darstellungen von Kringelgebäck in byzantinischen Mosaiken. Andere vermuten einen arabischen Einfluss, weil die Kombination von frittiertem Teig und süßem Sirup in vielen orientalischen Küchen verbreitet ist.
Ich habe die ersten Cartellate in Matera gegessen.

Überlieferungen sprechen davon, dass Cartellate schon im 6. Jahrhundert zu religiösen Festen gereicht wurden. Eine andere Theorie: Sie sollen die Dornenkrone Christi symbolisieren. Klingt dramatisch, passt aber zum katholisch geprägten Süditalien. Gesichert ist zumindest, dass sie seit Jahrhunderten Teil des weihnachtlichen Brauchtums sind.

Zutaten – schlicht, aber voller Bedeutung

Die Basis ist erstaunlich einfach:

  • Weizenmehl – klassisch Typ „00“, also besonders fein gemahlen.

  • Rotwein oder Weißwein – sorgt für Geschmack und macht den Teig elastisch. In manchen Familien kommt statt Wein auch Most oder sogar Grappa hinein.

  • Olivenöl – logisch, in Apulien ist das Grundnahrungsmittel. Meist ein mildes, fruchtiges Öl.

  • Salz – eine Prise.

Mehr braucht es für den Teig nicht.

Für die Glasur gibt es verschiedene Varianten:

  • Honig – oft regional, etwa Orangen- oder Kastanienhonig.

  • Vincotto – ein eingekochter Most, dickflüssig, süß, leicht karamellig. Traditionell aus Trauben, manchmal auch aus Feigen.

  • Dekoration – gehackte Mandeln, Walnüsse, Pistazien, Sesam oder kleine Zuckerperlen.

Das Faszinierende: Jede Familie hat ihr eigenes Rezept. Mal weicherer Teig, mal knuspriger, mal mit mehr Wein, mal ohne.

Die Form – nicht nur Dekoration

Cartellate sehen aus wie kleine Rosetten oder Kringel. Genauer: Man rollt den Teig dünn aus, schneidet ihn in lange Streifen (etwa 2–3 cm breit), faltet sie längs zu einer Art Band und drückt die Ränder in kleinen Abständen zusammen. Danach wickelt man diese „Welle“ spiralförmig ein.

Das Ergebnis: ein runder Teigkringel mit vielen kleinen „Taschen“. Und genau in diesen Vertiefungen sammelt sich später der Honig oder Vincotto. Praktisch und schön zugleich.

Eine Portion Geduld braucht man schon – wer mal versucht hat, eine große Menge Cartellate zu formen, weiß: Das dauert. Viele Frauen in den Dörfern bereiten sie deshalb gemeinsam zu. Ein soziales Ereignis. Fast wie das gemeinsame Plätzchenbacken in Deutschland, nur eben in größerem Stil.

Zubereitung – Tradition trifft auf Handarbeit

  1. Mehl, Öl, Wein und Salz zu einem Teig verkneten. Er soll geschmeidig, nicht zu klebrig sein.

  2. Dünn ausrollen, in Streifen schneiden.

  3. Streifen längs falten, zusammendrücken, eindrehen, Kringel formen.

  4. In heißem Olivenöl frittieren, bis sie goldbraun sind.

  5. Auf Küchenpapier abtropfen lassen.

  6. Warm mit Honig oder Vincotto beträufeln.

Das Frittieren ist entscheidend. Zu heiß – und sie verbrennen. Zu kalt – sie saugen Öl auf. Ideal sind rund 170–175 °C.

Varianten

  • Mit Honig – die wohl bekannteste Version.

  • Mit Vincotto di fichi – süß, fast sirupartig.

  • Mit Zimt – besonders in ländlichen Gegenden beliebt.

  • Mit gehackten Nüssen – als Kontrast zum süßen Sirup.

In Bari findet man häufiger die Variante mit Vincotto, im Salento eher Honig. In Brindisi wiederum bestreuen manche Familien die Cartellate mit Puderzucker – was ungewöhnlich, aber lecker ist.

Cartellate und Weihnachten – mehr als nur Dessert

In apulischen Familien gehören Cartellate fest auf den Tisch der Vigilienacht, also am 24. Dezember. Nach dem traditionellen Abendessen mit Fisch und Gemüse wird das Gebäck serviert. Kinder greifen zuerst zu, Erwachsene tun so, als wollten sie nur „eine kleine probieren“ – und essen dann fünf.

Das Gebäck steht nicht nur für Süße, sondern auch für Gemeinschaft. Manche Familien backen Hunderte Stück, um sie an Nachbarn, Freunde und Verwandte zu verschenken. Kleine Tüten voller Cartellate wechseln die Besitzer. Wer Glück hat, bekommt gleich mehrere Varianten geschenkt.

Nährwerte und Kalorien

Natürlich, gesund sind sie nicht unbedingt. Aber darum geht es auch nicht. Zur Orientierung:

  • 100 g Cartellate enthalten rund 420–450 kcal.

  • Fettanteil: ca. 18–20 %.

  • Zuckeranteil (je nach Belag): 25–30 %.

Dafür sind sie vegetarisch und – im Gegensatz zu vielen industriellen Weihnachtskeksen – frei von künstlichen Zusätzen.

Vergleich mit anderen Weihnachtsgebäcken

  • Panettone (Lombardei): Hefekuchen, fluffig, mild süß.

  • Struffoli (Neapel): Frittierte Teigkügelchen mit Honig – optisch bunt, geschmacklich ähnlich.

  • Lebkuchen (Deutschland): Gewürzlastig, haltbar, oft mit Schokolade.

  • Besitos de coco (Spanien): Kokosmakronen, weich und süß.

Cartellate unterscheiden sich vor allem durch die Form und den Einsatz von Wein im Teig. Das gibt ihnen eine besondere Note.

Persönliche Anmerkung

Wer einmal frische Cartellate probiert hat, weiß: Die schmecken ganz anders als die, die man in Plastikverpackungen im Supermarkt findet. Knuspriger, intensiver, aromatischer. Sie machen süchtig. Ein bisschen so wie Chips – nur süß.

Fun Fact

2010 wurde in Foggia der längste Cartellata-Teigstreifen gebacken: über 20 Meter. Man hat daraus eine überdimensional große Spirale geformt. Ein ziemlich spektakuläres, aber auch völlig unnötiges Rekord-Event. Trotzdem: es zeigt, welchen Stellenwert das Gebäck in Apulien hat.

Tipps zum Nachmachen

  • Wein: Nicht am falschen Ende sparen. Ein kräftiger Rotwein bringt Tiefe. Billiger Tetra-Pack-Wein macht den Teig stumpf.

  • Teigdicke: Je dünner, desto knuspriger.

  • Lagerung: In Blechdosen halten sie sich 1–2 Wochen. Mit Honig besser getrennt lagern, sonst kleben sie zusammen.

  • Variationen: Statt Honig mal Ahornsirup probieren – nicht traditionell, aber spannend.

FAQ

Was bedeutet der Name „Cartellate“?
Der Begriff leitet sich vom Dialektwort „carteddàte“ ab, was so viel wie „gefaltet“ oder „zusammengelegt“ bedeutet – passend zur Form.

Kann man Cartellate auch ohne Frittieren backen?
Ja, theoretisch. Manche backen sie im Ofen bei 180 °C. Sie werden dann trockener, weniger knusprig. Traditionell ist aber die frittierte Version.

Gibt es Cartellate nur zu Weihnachten?
Überwiegend ja. In manchen Regionen auch zu Hochzeiten oder Taufen. Aber Weihnachten ist der Hauptanlass.

Sind Cartellate vegan?
Der Teig selbst ist vegan, solange kein Honig verwendet wird. Mit Vincotto statt Honig sind sie also vegan.

Wie lange gibt es Cartellate schon?
Nachweislich seit dem Mittelalter, möglicherweise sogar seit der Antike.


Labels: Cartellate, Weihnachtsgebäck, Apulien, Italienische Küche, Honiggebäck, Vincotto, Traditionelle Rezepte, Frittieren, Süditalien

Meta-Beschreibung: Cartellate – das traditionelle Weihnachtsgebäck aus Apulien. Erfahre alles über Geschichte, Zutaten, Zubereitung und Varianten der süßen Teigkringel mit Honig oder Vincotto.

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